Die Theaterstadt Wien kennt nicht nur die "klassischen" und berühmten Theater,
sondern - manchmal eher im Verborgenen - eine interessante Szene von Theater-
gesellschaften und Spielstätten.
Hierzu zählt "theater privat" seit gut zwei Jahrzehnten. Aufgeführt werden Stücke
der modernen Theaterliteratur - und das jährlich, regelmäßig.
In diesem Jahr war es ein Text von Ingrid Lausund (geb. 1965 in Ingolstadt, lebt
in Berlin). Die Autorin einer ansehnlichen Zahl von Theaterstücken, aber auch von
Drehbüchern, hat nach ihrer Ausbildung an der Theaterakademie Ulm an diversen
Stationen erfolgreich Regie geführt, genannt seinen hier nur die jahrelange Arbeit
am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und natürlich 1999 ihre Gastprofessur am
Mozarteum in Salzburg. Die nächste Publikation von Ingrid Lausund ist für Feber
zu erwarten: "Bin nebenan. Monologe für zuhause".
Das 2001 verfaßte "Hysterikon" hat als Rahmenhandlung einen Supermarkt, der
von Kundinnen und Kunden (nach der Kleidung zu schließen) gehobener Schichten
besucht wird. Zentral ist die Gestalt des großartigen Kassiers, der die wechselnden
Kunden durch die Fragen und Probleme der Gegenwart (paßt auch für 2023!) führt.
Was ist der Wert von Gekauftem, nur der Preis oder doch auch der Mehrwert an
Prestige? Und was ist die Moral von/hinter "der Geschichte"? Der Supermarkt ist
hier nicht gedacht zur schnellen Besorgung, sondern zur Kommunikation, sogar zur
Begegnung: Kunde mit Kassier, vor allem aber Kunden untereinander - und zwar
spontan. Genannt seien hier lediglich der Kontakt zwischen "Blondem" und Jutefrau
mit der Betrachtung zur Moral, der Kontakt zwischen Armani-Mann und "Bon Tour", der
im Fach "Tiefkühlkost" seinen realen Höhepunkt findet und das Zusammentreffen vom
Armani-Mann beim Einkauf mit seiner Gucci-Frau, der sich von einer jungen Frau beeindrucken
und betören lässt. Hier ist für mich ein Höhepunkt, denn das gegenseitige Gefallen
zeigt sich (nur!?) im gegenseitigen Händereichen und -halten (geradezu klassisch!).
Das ernste, nachdenkliche Stück wird auch in dieser Art gestaltet - das zahlreiche
Publikum ist nur wenig zu spontanem Gelächter geneigt. Komisch, lustige Situationen
wie beispielsweise die junge Frau, die ihren Schuh in den Einkaufskorb des interessierenden
jungen Mannes wirft, sind meist vermieden. Dazu eine kleine Beobachtung am Rande: Warum
trägt der Kassier einen Stock spazieren, den er so offenkundig nicht benötigt?
Und nicht zuletzt "klassisch" ist dann auch das Schema der Begegnung der Kunden:
entweder Mann und Frau oder Mann mit seiner Frau, der eine andere (jüngere!?)
Frau kennenlernt. Alles in allem:
Ein interessantes zeitgenössisches Stück in einer sehr gelungenen Aufführung.
Es ist verständlich und erfreulich, dass theater privat eingeladen ist, im März am
Amateurtheaterfestival teilzunehmen.